Jeder, der sich mit Filmen beschäftigt, wird früher oder später mit dem Namen "Stanley Kubrick" in Kontakt kommen und bei Interesse seine bekanntesten Filme wie etwa "2001" oder "Uhrwerk Orange" kennen lernen.
"Barry Lyndon" ist ein Film, der hier immer sehr gerne vergessen wird. Woran es liegt, weiß ich nicht. Möglicherweise an der langen Laufzeit, der gewöhnungsbedürftigen Handlung, die nicht jeder spannend finden dürfte, oder die meisterhafte Perfektion, die auf den ein oder anderen abschreckend wirken kann. Ich kann nur für mich sprechen, indem ich sage, dass ich keinen dieser Kritikpunkte wirklich nachvollziehen kann. Im Gegenteil, "Barry Lyndon" war für mich viel interessanter und spannender, als es "2001" oder "Full Metal Jacket" waren, die beide von Kritikern sehr hochgelobt werden.
Was Kubricks Meisterwerk ausmacht, ist ganz einfach die Epik, die jede Minute des Filmes ausfüllt. Man kann sich nur ausmalen, mit welcher Akribie Kubrick sein Vorhaben, ein Gemälde zu verfilmen und für den Zuschauer begreifbar zu machen, verfolgt hatte. Angefangen von den originalgetreuen Drehorten und vor allem den Kostümen, legte er großen Wert auf die Kameraführung und der Beleuchtung des Drehorts - nämlich, indem er auf künstliche Lichtquellen verzichtete, sodass das Setting, das Ende des 18. Jahrhunderts spielt, glaubwürdiger wirkt.
Die Handlung wirkte auf mich nach den ersten Minuten, die ich zur Eingewöhnung brauchte, ganz und gar nicht uninteressant, im Gegenteil. Die Aufstieg-und-Fall-Geschichte eines einfachen irischen Mannes, der in Situationen hineingeworfen wird und sich selbstsüchtig nimmt, was ihm seiner Meinung nach zusteht - und am Schluss die Rechnung für alle seine Taten erhält. Wenn ich ehrlich bin, gibt es für mich kein Thema im Film, das mich mehr fesseln könnte. Die Figur des Redmond Barry ist an sich zwar nicht besonders vielschichtig, aber die Situationen, mit denen er konfrontiert wird und er immer wieder seinen Hang zum Vagabundenleben beweist, lassen praktisch nie Langeweile aufkommen.
Dazu war Kubrick so klug, einen Sprecher einzubauen, der mit neutralem Blick das Geschehen kommentiert und Hintergründe erläutert. In der Hauptfigur des Redmond Barry wurde Ryan O'Neal eingesetzt, der zwar mit seinem traurigen Dackelblick eine ungewöhnliche Kubrick-Besetzung ist, aber als Barry Lyndon, wie er später heißt, vollkommen überzeugt. Genau wie mich der Film bereits beim ersten Mal ansehen überzeugt hatte, und ich gewillt bin, ihm beim nächsten Mal mein Herz zu schenken. Ein verkanntes Meisterwerk, aber vielleicht gerade deshalb Kubricks bester Film.